UNESCO-Bericht macht keine Empfehlung bezüglich Smartphones an Schulen
Am 26.07.2023 erschien auf heise.de ein Online-Artikel mit dem Titel
Unesco will Smartphones aus Schulen verbannen (
Biblionetz:t30432).
Der Artikel hat den Lead
Die Unesco sieht die Bildung an Schulen durch Smartphones gefährdet. Die Mobiltelefone hätten deshalb im Unterricht nichts verloren.
und beginnt mit folgendem Absatz:
Die Unesco empfiehlt, Smartphones aus Schulen fernzuhalten. Das geht aus dem "2023 Global Education Monitoring Report" (Zusammenfassung) der UN-Agentur für Bildung, Wissenschaft und Kultur hervor. Schüler sollen dadurch im Unterricht weniger abgelenkt sein und sich besser auf den Lernstoff konzentrieren können. Zudem sollen die Kinder dadurch vor Cybermobbing geschützt werden.
Nur: So steht das nicht im UNESCO-Bericht, weder in der 32-seitigen Zusammenfassung (Biblionetz:t30433), noch im 435-seitigen Bericht (Biblionetz:b08453).
Der zitierte UNESCO-Bericht beschäftigt sich allgemein mit ICT in der Schule und streift das Thema Smartphones nur am Rande. Der Begriff "Smartphone" kommt
in der Zusammenfassung im Bericht wörtlich nur zwei Mal vor:
Finally, it can have detrimental impact if inappropriate or excessive. Large-scale international assessment data, such
as that provided by the Programme for International Student Assessment (PISA), suggest a negative link between
excessive ICT use and student performance. Mere proximity to a mobile device was found to distract students and to
have a negative impact on learning in 14 countries, yet less than one in four have banned smartphone use in schools.
und
Children’s exposure to screen time has increased.
A survey of screen time of parents of 3- to 8-year-olds
in Australia, China, Italy, Sweden and the United States
found that their children’s screen exposure increased
by 50 minutes during the pandemic for both education
and leisure. Extended screen time can negatively affect
self-control and emotional stability, increasing anxiety
and depression. Few countries have strict regulations on
screen time. In China, the Ministry of Education limited the
use of digital devices as teaching tools to 30% of overall
teaching time. Less than one in four countries are banning
the use of smartphones in schools. Italy and the United
States have banned the use of specific tools or social
media from schools. Cyberbullying and online abuse are
rarely defined as offences but can fall under existing laws,
such as stalking laws as in Australia and harassment laws
in Indonesia.
Beide Zitate besagen, dass
übermässige ICT-Nutzung (und nicht spezifisch Smartphone-Nutzung) das Lernen beeinträchtigen können und dass weniger als ein Viertel der Länder ein Smartphone-Verbot in der Schule kenne. Von einer Empfehlung gegen Smartphones in der Schule ist weder in diesen beiden Abschnitten noch im restlichen Bericht etwas zu finden.
Ist das nun Erbsenzählerei, wenn hier behauptet wird, der UNESCO-Bericht würde keine Empfehlung gegen Smartphones in der Schule aussprechen, wo doch klar negative Aspekte der Smartphone-Nutzung erwähnt werden?
Erstens: Diese negativen Aspekte sollen nicht verschwiegen oder verleugnet werden. Dass übermässiger Medienkonsum nicht lernförderlich ist, wird vermutlich niemand bestreiten. Ab wann ein Medienkonsum als
übermässig angesehen werden muss, ist jedoch nicht ganz klar.
Zweitens: Der heise-Artikel pickt sich ein Detail aus dem UNESCO-Bericht heraus, liest eine nicht ausgesprochene Empfehlung hinein und verschweigt alle anderen Aussagen des Berichts. Um zu zeigen, wie selektiv die heise-Berichterstattung im vorliegenden Fall ist, hier ein alternativer Artikel, der genauso gut hätte entstehen können.:
Woher stammen denn diese Aussagen? Aus dem gleichen UNESCO-Bericht:
Radio, television and mobile phones fill in for traditional education among hard-to-reach populations. Almost 40
countries use radio instruction. In Mexico, a programme of televised lessons combined with in-class support increased
secondary school enrolment by 21%.
und
Technology has been used to support teaching and
learning in multiple ways. Digital technology offers
two broad types of opportunities. First, it can improve
instruction by addressing quality gaps, increasing
opportunities to practise, increasing available time and
personalizing instruction. Second, it can engage learners by
varying how content is represented, stimulating interaction
and prompting collaboration. Systematic reviews over
the past two decades on technology’s impact on learning
find small to medium-sized positive effects compared to
traditional instruction.
FAZIT: Es ist wie immer nicht schwarz oder weiss, sondern eben mehr als 0 und 1 ;-). Digitale Technologien haben Potenziale, falsch oder übermässig eingesetzt sind sie aber nicht lernförderlich. Intensive, länder-, stufen- und fächerspezifische Diskussionen zu Potenzialen und Gefahren sind weiterhin notwendig - pauschale Aussagen und Überspitzungen helfen wenig.
--
BeatDoebeli - 26 Jul 2023
P.S: 04.08.23: golem.de titelt ähnlich falsch:
Unesco fordert weltweites Smartphone-Verbot an Schulen
P.S.: 06.08.23: In der der ersten Version dieses Textes hiess es fälschlicherweise, der Begriff Smartphone komme im Bericht nur zwei Mal vor. Richtig ist aber: Der Begriff kommt in der Zusammenfassung nur zwei Mal vor. Ändert aber nichts an der Grundaussage dieses Textes, dass der UNESCO-Bericht differenziert Potenziale und Gefahren von Smartphones aufzeigt und nicht wie in gewissen Medien berichtet, pauschal ein Smartphone-Verbot in Schulen empfiehlt.