Primärerfahrungs-Argument

Prototypische Formulierung

Kinder brauchen reale Erfahrungen. Computervermittelte, virtuelle können diese nicht ersetzen und würden die Kinder nur verwirren und überfordern.

Beispiele

In einer Welt, in der ursprüngliche Erfahrung immer knapper wird, in einer Welt, in der es gilt, den Menschen gegen das überwältigende Aggregat der Sachen zu ermutigen, in einer Gehäusewelt, die sich nicht mehr selbst erklärt, hole ich [den Computer] nicht ohne Not ins Klassenzimmer.

Quelle: Hartmut von Hentig im Buch Der technischen Zivilisation gewachsen bleiben (2002, Biblionetz:b00906) im Text Unvernünftige Erwartungen (Biblionetz:t01854) auf Seite 149

Sicher: Wenn die Kinder erwachsen sind, werden sie am Computer sitzen und mit der Tastatur schreiben müssen. Das ist aber noch kein Grund, sie im Kindergarten schon an den PC zu setzen, statt sie mit ihren Händen und Fingern Bilder malen zu lassen. Im Gegenteil: Die Welt ist voller Computer, Kinder kriegen das nebenbei problemlos mit. Die Schule sollte sich viel mehr um die Welterfahrung der Kinder sorgen. Denn Frösche und Lehm, den Balzruf des Rotkehlchens und das Klopfen eines Spechts, das kriegen viele Kinder nicht mehr mit.

Quelle: Matthias W. Zehnder im Text Schulen: Weg vom Netz? (2006, Biblionetz:t05805)

Waldorfshop: Zuhause können Eltern einen geschützten Raum schaffen — doch früher oder später werden Kinder mit der Technik- oder Medienwelt konfrontiert. Sehen Sie Möglichkeiten, die Kinder darauf „vorzubereiten“?

Prof. Patzlaff: Allerdings sehe ich die. Die beste Vorbereitung wird durch die intensive Begegnung des kleinen Kindes mit der nichtmedialen Wirklichkeit erreicht, also mit der handgreiflichen Realität, die zu tasten, zu sehen, zu riechen und zu schmecken ist. Hier kann sich das Kind mit allen seinen Sinnen und seinen motorischen Fähigkeiten Primärerfahrungen verschaffen, die durch nichts zu ersetzen sind. Echte Medienkompetenz beginnt mit Medienabstinenz. Das erscheint heute noch paradox, wird aber z. B. durch die Hirnforschung vollauf bestätigt.

Quelle: http://waldorfshop.eu/interview-patzlaff/ (Biblionetz:t14624)

Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob Kinder mit Steinen einen Bach stauen oder ob sie das Gleiche per Mausklick auf dem Bildschirm tun. Der richtige Damm erfordert, ins Wasser zu gehen, Steine anzufassen, ein Gefühl für deren Gewicht und Form zu entwickeln, nass zu werden, zuzuschauen, wie der angefangene Damm weggespült wird, gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie man ihn stabiler bauen könnte, neu zu beginnen mit einem solideren Unterbau, dabei zu beobachten, wie das Wasser seinen Fluss verändert und Kräfte entwickelt, das Herbeischaffen der Steine zu organisieren, die klammen Finger und kleinen Schürfwunden zu vergessen, vom Ufer aus das Werk zu bewundern, zu Hause trockene Kleider anzuziehen, ein Pflaster auf die Schürfwunde kleben zu lassen.

Quelle: Schreier, Helmut: Krise der Kindheit. (2012)

Für mehr Zitate siehe Biblionetz:a00295

Verwandte Argumente

Gegenargumente

  • Standard-Antwort: Es geht nicht um ein entweder-oder, sondern um ein sowohl-als-auch
  • alert Machen Sie den Bücher-Check!: Die Welt ist nicht so schwarz-weiss, wie dieses Argument vorgibt. Lebenserfahrungen von Kindern haben bereits seit langem medial vermittelte Anteile. Man ersetze "Computer" durch "Bilderbücher" oder "Kuscheltiere" und schon erscheint das Argument in einem neuen Licht. Bilderbücher sind auch nicht schlecht und von Kindern fernzuhalten, weil sie nicht die reale Erfahrung sind. Somit ist klar: Die Frage muss differenzierter betrachtet werden. Welches Medium wird aus welchen Gründen wie lange genutzt?
    • Das Bilderbuch ist zwar haptisch, dafür kann man den Elefanten weder hören noch herumgehen sehen.
    • Auch in digitalen Medien kann man den Elefanten nicht riechen und berühren. Riechen kann man ihn im Zoo, aber es wäre seltsam, wenn man allen Kindern vor dem ersten Zoobesuch sämtliche Bilder von Elefanten vorenthalten würde.

Antwort von zwei PH-Studierenden

(JessicaSenn und FabrizioDubacher)

Heute können bessere Sekundärerfahrungen gemacht werden

Den Kindern werden durch die neuen Medien nicht die Kindheit genommen. Oft hört man, dass Kinder nur noch vor dem Computer sitzen und Primär- vor allem Sekundärerfahrungen sammeln. Dem kann entgegengehalten werde, dass z.B. beim Lesen eines Sachbuches über den Tiger auch nur Sekundärerfahrungen ermöglicht werden. Denn das Kind kann den Tiger nicht richtig sehen, weder hören noch irgendwie anfassen. Ein Computer kann zwar keine reale Situation schaffen, jedoch durch audiovisuelle Unterstützung zusätzliche Informationen liefern. So kann sich ein Kind das Gebrüll eines Tigers per Mausklick anhören. Ein Video kann zudem mehr Eindrücke liefern als ein einziges Bild. Neue Medien ermöglichen zudem Einblicke in die Welt, die den Kindern sonst nicht ermöglicht würden. Es kann sich in einer Lernumgebung zum Regenwald aufhalten und diesen auf spielerische Weise entwickeln. Die Auseinandersetzung mit Medienereignissen kann auch kognitiv anregend und kreativ sein. Medienereignisse können auch positive Funktionen bei der Lösung von Entwicklungsaufgaben einnehmen. Zuletzt ist zu unterstreichen, dass "eine mit elektronischen Medien aufwachsende Generation in ihrer Medienkompetenzen mit denjenigen ihrer noch medienungewohnten Eltern nicht zu vergleichen ist, bzw. dass sie viel souveränere Umgangsformen entwickelt hat" (Moser, 2006, S.31).

Quellen

Kontakt

  • Beat Döbeli Honegger
  • Plattenstrasse 80
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  • E-mail: beat@doebe.li